Categories News

Montessori für Autisten

Montessori-Lern- und Spielmaterialien für autistische Kinder – Ein praxisnaher Leitfaden

Montessori für Autisten, es lohnt sich ein genauer Blick auf diese Methode, warum, erfahren Sie im folgenden Artikel. die Welt auf ihre ganz eigene Weise. Ihre Wahrnehmung, ihr Verhalten und ihr Lernstil unterscheiden sich oft deutlich von dem anderer Kinder. Für Eltern und pädagogische Fachkräfte stellt sich daher immer wieder die Frage: Wie können wir autistischen Kindern ein Lernumfeld bieten, das ihren individuellen Bedürfnissen gerecht wird und ihnen zugleich Raum zur Entfaltung lässt? Die Montessori-Pädagogik bietet darauf eine bemerkenswerte Antwort.

Als ganzheitlicher, kindzentrierter Ansatz legt Montessori den Fokus auf Selbstständigkeit, Struktur, sinnliche Erfahrung und eine vorbereitete Umgebung – alles Faktoren, die sich besonders positiv auf autistische Kinder auswirken können. Doch wie genau sieht das in der Praxis aus? Welche Montessori-Materialien eignen sich für welche Altersstufen? Und worin liegt der besondere Wert dieser Methode für Kinder im Autismus-Spektrum?

In diesem Artikel werfen wir einen ausführlichen, praxisnahen Blick auf Montessori-Lern- und Spielmaterialien für autistische Kinder. Wir erklären, was hinter dem Montessori-Prinzip steckt, beleuchten die typischen Bedürfnisse autistischer Kinder und zeigen auf, wie Montessori-Pädagogik darauf eingeht. Für Eltern, Erzieherinnen und Lehrerinnen bietet dieser Beitrag konkrete Hilfestellungen – unterteilt nach Altersgruppen – sowie zahlreiche Beispiele aus dem Montessori-Alltag. Ziel ist es, Wege aufzuzeigen, wie autistische Kinder in ihrer Individualität angenommen und in ihrer Entwicklung bestmöglich unterstützt werden können – mit Materialien, die nicht nur bilden, sondern auch Freude machen.



Das Montessori-Prinzip – Herkunft, Grundideen und Lernverständnis

Die Montessori-Pädagogik wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts von der italienischen Ärztin Dr. Maria Montessori (1870–1952) entwickelt. Ihren Ursprung nahm die Methode in der Arbeit mit benachteiligten und behinderten Kindern, bevor sie 1907 in Rom das erste „Casa dei Bambini“ (Kinderhaus) für Kinder aus armen Familien eröffnete. Maria Montessori beobachtete aufmerksam, wie Kinder von Natur aus lernen, und leitete daraus Kernprinzipien für eine neue Pädagogik ab. Ihre Grundidee lässt sich in dem berühmten Leitsatz zusammenfassen: „Hilf mir, es selbst zu tun.“

Im Mittelpunkt des Montessori-Prinzips steht das Kind als aktiver Gestalter seines Lernprozesses. Jedes Kind bringt einen inneren Entwicklungsdrang mit und lernt am besten durch eigene Erfahrung und Entdeckung. Montessori vertrat die Ansicht, dass Kinder intrinsisch motiviert sind – sie wollen von sich aus lernen, wenn man sie lässt. Entsprechend schafft die Montessori-Pädagogik eine vorbereitete Umgebung, in der Kinder selbstständig tätig sein können. Diese vorbereitete Umgebung ist kindgerecht eingerichtet: Möbel in passender Größe, frei zugängliche Lernmaterialien in offenen Regalen und ein strukturierter, ästhetisch ansprechender Raum. Alles hat seinen festen Platz; diese Ordnung soll den Kindern Orientierung bieten und ihre Selbstständigkeit fördern.

Charakteristisch für Montessori ist auch die Betonung des Lernens mit allen Sinnen. Anstelle von Frontalunterricht mit passiv zuhörenden Kindern setzt Montessori auf hands-on Lernen: spezielle Materialien laden zum Anfassen, Ausprobieren und Begreifen im wortwörtlichen Sinne ein. Abstrakte Konzepte – ob in Mathematik, Sprache oder anderen Bereichen – werden durch konkrete Materialien erfahrbar gemacht. Zum Beispiel lernen Kinder Mengen und Zahlen mit Perlen und Klötzen kennen, Buchstaben durch das Nachfahren von Sandpapierbuchstaben mit den Fingern. Fehler dürfen und sollen gemacht werden; viele Materialien enthalten eine eingebaute „Fehlerkontrolle“, sodass das Kind selbst bemerkt, wenn etwas nicht stimmt, und es eigenständig korrigieren kann. Diese Fehlerkontrolle im Material fördert die Unabhängigkeit, denn das Kind ist nicht auf ständige Korrektur durch den Erwachsenen angewiesen.

Ein weiterer Aspekt des Montessori-Lernverständnisses ist die freie Wahl der Aktivitäten innerhalb gewisser klarer Regeln. Kinder dürfen aus dem Angebot an Lern- und Spielmaterialien jene auswählen, die sie aktuell interessieren, und so lange damit arbeiten, wie sie möchten. Dadurch können sie sich intensiv vertiefen und in ihrem eigenen Tempo lernen. Zugleich lernen die Kinder, Rücksicht auf andere zu nehmen – etwa indem sie nur ein Material zur gleichen Zeit nutzen und es nach Gebrauch wieder ordentlich zurückstellen. Montessori-Klassen sind zudem oft altersgemischt (z.B. 3–6 Jahre gemeinsam), damit jüngere von älteren lernen können und jedes Kind gemäß seinem Entwicklungsstand gefördert wird.

Die Rolle des Erwachsenen im Montessori-Prinzip ist die eines einfühlsamen Begleiters statt eines frontalen Lehrers. Montessori-Lehrkräfte – oft als „Guide“ oder Begleiter bezeichnet – beobachten die Kinder aufmerksam, erkennen deren Interessen und Entwicklungsphasen und bieten passende Materialien oder Impulse an. Sie greifen so wenig wie möglich in die eigenständige Tätigkeit ein, stehen aber helfend bereit, wenn es nötig ist. Dieses Bild vom Kind als „Baumeister seiner selbst“ und vom Pädagogen als unterstützendem Guide prägt das gesamte Montessori-Prinzip.

Montessori für Autisten
Montessori für Autisten

Besondere Bedürfnisse autistischer Kinder

Autistische Kinder nehmen die Welt oft anders wahr und haben besondere Bedürfnisse, die im Alltag berücksichtigt werden sollten. Wichtig ist zu verstehen, dass Autismus-Spektrum-Störungen sehr vielfältig sind – jedes autistische Kind hat seine eigenen Stärken, Herausforderungen und Ausprägungen. Dennoch gibt es einige gemeinsame Bereiche, in denen viele autistische Kinder spezifische Bedürfnisse zeigen:

  • Reizverarbeitung (Sensorik): Autistische Kinder können Sinneseindrücke anders verarbeiten als neurotypische. Manche reagieren überempfindlich auf Geräusche, Licht, Berührungen oder Gerüche – sie fühlen sich dann schnell überfordert (Stichwort Reizüberflutung) und ziehen sich zurück oder reagieren mit Unruhe. Andere haben eine Unterempfindlichkeit in bestimmten Sinnesbereichen und suchen verstärkt sensorische Reize (z.B. wollen alles anfassen, mögen intensiven Druck oder bewegen sich ständig, um ausreichend Reize zu spüren). Jedes Kind hat hier ein individuelles Profil – einige meiden z.B. laute, chaotische Umgebungen, während andere gerade sensorische Erfahrungen brauchen, um sich wohlzufühlen.
  • Struktur und Routine: Viele Kinder im Autismus-Spektrum fühlen sich durch klare Strukturen und Vorhersehbarkeit besonders geborgen. Veränderungen, ungewohnte Situationen oder ein Mangel an Routine können Stress und Angst auslösen. Ein fest geregelter Tagesablauf, eindeutige Regeln und Rituale helfen autistischen Kindern, sich zurechtzufinden. Sie lieben oft Wiederholungen und bekannte Abläufe; Unerwartetes kann sie aus dem Gleichgewicht bringen. Das Bedürfnis nach gleichbleibender Struktur ist kein „starres Festhalten“, sondern gibt Sicherheit in einer Welt, die für sie oft unübersichtlich oder überwältigend wirkt.
  • Kommunikation und soziale Interaktion: Autistische Kinder kommunizieren und interagieren auf ihre Weise. Einige entwickeln die Sprache spät oder kaum (manche sind nonverbal), andere sprechen zwar früh, haben aber Schwierigkeiten mit dem wechselseitigen Dialog oder dem Verstehen von Mimik und Gestik. Sprache kann für sie wörtlicher und weniger intuitiv sein; Redewendungen oder indirekte Aufforderungen versteht ein autistisches Kind womöglich nicht ohne Weiteres. In der sozialen Interaktion bevorzugen viele autistische Kinder klare, direkte Kommunikation. Smalltalk, Gruppenspiele oder unausgesprochene soziale „Regeln“ können sie hingegen überfordern. Wichtig ist auch: Sozialer Rückzug bedeutet nicht, dass das Kind keine Kontakte wünscht – es findet sie nur oft anstrengend oder braucht andere Formen der Annäherung, z.B. über gemeinsame Interessen.
  • Interessen und Fokus: Ein typisches Merkmal vieler autistischer Kinder ist das Ausprägen starker Spezialinteressen. Sie können sich sehr intensiv und ausdauernd mit einem Lieblingsthema oder bestimmten Spiel beschäftigen und blenden dabei anderes aus. Dieses tiefe Eintauchen ist eine Stärke, kann aber im schulischen Kontext problematisch wirken, wenn es zu einseitig erscheint. Zugleich fällt es autistischen Kindern manchmal schwer, sich auf Aufgaben zu konzentrieren, die sie nicht interessieren – insbesondere wenn diese abstrakt oder ohne erkennbaren Sinn für sie sind. Aufmerksamkeit und Motivation sind daher stark davon abhängig, ob der Inhalt als bedeutungsvoll erlebt wird.
  • Motorische Entwicklung: In der Motorik zeigen autistische Kinder eine ebenso große Bandbreite. Einige haben feinmotorische Schwierigkeiten – z.B. beim Malen, Schreiben, Schleifen binden – oder brauchen länger, um Bewegungsabläufe zu koordinieren. Andere verfügen über gute motorische Fähigkeiten, meiden aber ungewohnte Bewegungsabläufe aus Unsicherheit. Wieder andere haben einen großen Bewegungsdrang oder auffällige motorische Eigenheiten (wie wiederholtes Hin- und Herlaufen, auf Zehenspitzen gehen, bestimmte Handbewegungen als Selbststimulation). Allgemein profitieren autistische Kinder von geduldiger Förderung der Motorik, da Erfolgserlebnisse in diesem Bereich ihr Selbstvertrauen stärken und den Alltag (z.B. beim Anziehen, Basteln oder Sport) erleichtern.

Neben diesen Bereichen gibt es weitere mögliche Besonderheiten, etwa im emotionalen Bereich (z.B. Schwierigkeiten, eigene Gefühle zu regulieren oder die von anderen zu verstehen) oder bei der Reizfilterung (gleichzeitige Eindrücke können schwer sortiert werden). Auch brauchen viele autistische Kinder gelegentlich Rückzugsräume, um sich von sozialer oder sensorischer Überreizung zu erholen. Zusammenfassend gilt: ein Umfeld, das auf Klarheit, Verlässlichkeit, individuelle Kommunikation und Sinnesbedürfnisse Rücksicht nimmt, hilft autistischen Kindern enorm.

Wie Montessori auf die Bedürfnisse autistischer Kinder eingeht

Die Montessori-Pädagogik bringt von ihrem Ansatz her viele Elemente mit, die den genannten Bedürfnissen autistischer Kinder entgegenkommen. Tatsächlich arbeitete Maria Montessori selbst in ihren Anfängen mit Kindern, die Entwicklungsbesonderheiten hatten, und ihr Menschenbild ist von großer Wertschätzung für die Individualität jedes Kindes geprägt. Im Folgenden soll aufgezeigt werden, wie zentrale Montessori-Praktiken und -Prinzipien sich positiv auf autistische Kinder auswirken können:

Ruhige, geordnete Umgebung: Montessori-Klassenräume sind bewusst übersichtlich und reizarm gestaltet. An den Wänden hängen nur wenige, dezente Bilder statt bunter Posterflut; die Farben der Möbel und Materialien sind eher natürlich und beruhigend. Alles Material hat seinen festen Platz in Regalen, und es wird meist nur eine begrenzte Anzahl von Dingen gleichzeitig angeboten. Diese äußere Ordnung vermittelt autistischen Kindern Sicherheit und Struktur. Weil der Raum nicht mit Reizen überfrachtet ist, sinkt das Risiko der Reizüberflutung – das Kind kann seine Aufmerksamkeit besser fokussieren. Auch der Tagesablauf in Montessori-Einrichtungen ist relativ konstant: Es gibt beispielsweise feste Arbeitsphasen, Freispiel- oder Lernzeit, und klare Übergänge wie den Morgenkreis oder das Aufräumen vor der Pause. Die Vorhersehbarkeit dieser Abläufe kommt dem starken Strukturbedürfnis vieler autistischer Kinder entgegen. Sie wissen, was sie erwartet, und können sich innerlich darauf einstellen.

Individuelles Lerntempo und Fokus auf Interessen: In einer Montessori-Umgebung darf jedes Kind in seinem eigenen Tempo lernen. Es gibt keinen starren Lehrplan, dem alle gleichzeitig folgen müssen. Für autistische Kinder, die oft ungleichmäßige Lernprofile haben (z.B. sehr weit in Mathematik, aber Schwierigkeiten in Sprache, oder umgekehrt), ist das ideal: Sie können in ihren Stärken gefördert werden und bekommen für die schwächeren Bereiche mehr Zeit zur Entwicklung. Auch die Möglichkeit, sich intensiv mit einem Interessengebiet zu beschäftigen, ist in Montessori gegeben. Wenn ein autistisches Kind z.B. eine Faszination für Zahlen oder Puzzles hat, darf es diesem Interesse häufig nachgehen und darin Erfolgserlebnisse sammeln, statt ständig davon weggeführt zu werden. Dies erhöht die Motivation und das Selbstwertgefühl. Gleichzeitig achtet die Montessori-Lehrkraft darauf, behutsam auch andere Lernbereiche anzubieten, sobald das Kind dafür offen ist – aber ohne Zwang. Die Freiheit, wählen zu dürfen, verringert den inneren Widerstand, den autistische Kinder bei unbeliebten Aktivitäten oft aufbauen. Montessori nutzt also die Stärken und Interessen des Kindes als Sprungbrett, um Gesamtlernziele zu erreichen.

Lernen über die Sinne und durch Handlung: Autistischen Kindern kommt das multisensorische, praktische Lernen der Montessori-Methode besonders zugute. Viele von ihnen sind visuelle Denker oder Lernende, die Informationen besser begreifen, wenn sie sie sehen, hören oder anfassen können, anstatt nur sprachlich erklärt zu bekommen. Montessori-Materialien sind genau darauf ausgelegt: sie sprechen den Tastsinn, das visuelle System, oft auch das Gehör an. Zum Beispiel lernen Kinder Buchstaben, indem sie mit dem Finger über raue Sandpapierbuchstaben streichen (taktiler Sinn) und dabei den Laut hören. Mathematik wird mit Perlenstäbchen oder dem goldenen Perlenmaterial sichtbar und greifbar gemacht. Farben und Formen werden sortiert, Gewichte und Geräusche verglichen, u.v.m. Für autistische Kinder, denen abstrakte Anweisungen oder geschriebener Text schnell zu viel werden, bietet dieses “Begreifen durch Begreifen” einen Zugang zum Lernen, der ihren Bedürfnissen entspricht. Sie können Dinge im wahrsten Sinne des Wortes begreifen. Dabei ermöglicht das anschauliche Material es oft, komplexe Konzepte einfacher zu verstehen – was das Erfolgserlebnis wahrscheinlicher macht. Zudem fördern die feinmotorischen Handgriffe beim Umgang mit den Materialien gleichzeitig ihre Motorik. Ein weiterer Vorteil: Die Materialien belohnen meist durch das fertiggestellte Ergebnis (z.B. ein einsortiertes Puzzle, ein korrekt gelegtes Perlenmuster) und erfordern keine langen verbalen Erklärungen – das kommt Kindern entgegen, die in der Sprachverarbeitung Schwierigkeiten haben.

Bewegungsfreiheit und Rückzugsmöglichkeiten: Anders als in frontal ausgerichteten Settings dürfen sich Kinder in Montessori-Klassen viel freier bewegen. Sie arbeiten mal am Tisch, mal auf dem Teppich am Boden; sie dürfen aufstehen, um sich ein Material zu holen, oder zwischendurch einen kleinen Gang durch den Raum machen. Dieses Recht auf Bewegung ist bedeutsam, denn viele autistische Kinder haben Probleme damit, lange still zu sitzen. In Montessori ist leichte Bewegung integraler Bestandteil des Lernens – sei es, dass ein Kind Wasser holt, um eine Übung zu machen, oder die Teppichmatte ausrollt für seine Arbeit. So wird auf natürliche Weise dem Bewegungsdrang Rechnung getragen, ohne dass Unruhe gleich als “Störung” gesehen wird. Für Kinder mit großem sensorischen Bewegungsbedürfnis (z.B. dem Verlangen zu laufen oder zu hüpfen) lässt sich der Montessori-Alltag zudem anpassen, etwa durch kurze Bewegungsübungen zwischen den konzentrierten Phasen. Ebenso wichtig sind Rückzugsmöglichkeiten: In vielen Montessori-Klassen gibt es z.B. Leseecken oder ruhige Bereiche, in die sich ein Kind zurückziehen kann, wenn es eine Pause von der Gruppenumgebung braucht. Da Montessori die individuelle Selbstregulation fördert, wird es akzeptiert, wenn ein autistisches Kind sich gelegentlich absondert, um sich zu beruhigen oder einfach allein zu sein – solange es die Grundregeln (wie niemanden stören) einhält. Diese Freiheit, sich bei Bedarf zurückzuziehen, hilft dem Kind, Überforderung vorzubeugen und stärkt seine Autonomie.

Soziale Interaktion ohne Zwang: Montessori betont zwar gemeinsames Lernen und ein respektvolles Miteinander, aber sie übt deutlich weniger sozialen Zwang aus als traditionelle Schulformen. Es gibt keine festen Klassenarbeiten, in denen alle gleichzeitig abgefragt werden, und oft keinen Wettbewerb um die beste Note – das nimmt schon viel Druck aus der sozialen Vergleichssituation. Autistische Kinder, die Gruppenaktivitäten anstrengend finden, können in Montessori häufig alleine oder zu zweit arbeiten statt in großen Gruppen. Die meiste Zeit des Tages arbeiten die Kinder individuell mit ihrem gewählten Material; wenn Zusammenarbeit erfolgt, dann meist freiwillig und in kleinen überschaubaren Runden. Dadurch haben autistische Kinder die Chance, soziale Fähigkeiten in ihrem eigenen Tempo zu üben: Sie sehen die älteren Kinder als Vorbilder, können sich Gespräche abschauen, haben aber auch die Legitimation, sich auf ihre Aufgabe zu konzentrieren, ohne permanent in Interaktion treten zu müssen. Die Lehrkraft achtet darauf, eine Atmosphäre von Akzeptanz zu schaffen – z.B. wird ein Kind nicht gedrängt, bei einem Gruppenspiel mitzumachen, wenn es das sichtlich überfordert. Stattdessen bietet man ihm vielleicht eine alternative Aufgabe an, an der es teilnehmen kann. Gleichzeitig lernen autistische Kinder in der Montessori-Gemeinschaft wichtige soziale Regeln „nebenbei“ – etwa das Warten, bis ein anderes Kind fertig ist mit einem Material, das respektvolle Ansprechen, das gegenseitige Helfen (ältere helfen jüngeren). All das passiert jedoch im Kontext echter Tätigkeiten und nicht als abstrakte Lektion. So können auch Kinder mit sozialen Schwierigkeiten Teil der Gemeinschaft sein, ohne dass ihre Besonderheiten ständig hervorgehoben werden.

Zusammengefasst ist die Montessori-Pädagogik sehr anpassungsfähig an individuelle Bedürfnisse. Sie bietet strukturelle Klarheit und sinnvolle Rituale für diejenigen, die sie brauchen, gleichzeitig aber Flexibilität in Lernweg und Tempo. Autistische Kinder erfahren im Idealfall eine Umgebung, die ihre Stärken betont (z.B. Detailwahrnehmung, intensiver Fokus) und ihre Herausforderungen mildert (z.B. sensorische Überreizung, soziale Unsicherheit). Natürlich muss dies immer im konkreten Einzelfall angeschaut werden – je nach Ausprägung des Autismus benötigt ein Kind eventuell zusätzliche Unterstützung oder Therapien. Doch als ganzheitliches Lernumfeld schafft Montessori gute Voraussetzungen, damit autistische Kinder sich wohlfühlen und ihr Potential entfalten können.

Montessori-Materialien für verschiedene Altersstufen

Nachdem wir die Theorie und die Grundprinzipien betrachtet haben, folgt nun der praktische Teil: konkrete Montessori-Lern- und Spielmaterialien, die sich besonders für autistische Kinder eignen bzw. bewährt haben. Montessori-Materialien gibt es für sämtliche Entwicklungsstufen vom Säuglings- bis ins Schulalter. Im Folgenden stellen wir exemplarisch einige Materialien und Aktivitäten vor, unterteilt nach Altersgruppe. Für jedes Material erläutern wir, worum es geht, wie man es einsetzt und welchen Nutzen es gerade für ein autistisches Kind haben kann – einschließlich möglicher Anpassungen oder Varianten, um optimal auf das Kind einzugehen.

Kleinkinder (0–3 Jahre)

  • Greifmaterialien: In den ersten Lebensjahren stehen Sensorik und Grob-/Feinmotorik im Vordergrund. Montessori empfiehlt eine Reihe von Greifmaterialien, die Babys und Kleinkindern helfen, ihre Hände und Sinne zu trainieren. Das können einfache Holzrasseln, Greifringe aus Holz oder Stoff, Kugeln an einer Schnur oder auch Gegenstände aus dem Alltagsleben in einem Fühlkorb sein. Wichtig ist, dass sie handgerecht sind – also so gestaltet, dass kleine Hände sie gut umfassen können – und sicher (ungiftig, keine verschluckbaren Kleinteile). Die Anwendung ist denkbar einfach: Das Kind darf den Gegenstand erkunden, schütteln, in die andere Hand nehmen, fallen lassen und wieder aufheben. Diese Materialien fördern den Greifreflex, schulen die Hand-Auge-Koordination und erlauben dem Kind erste Erfahrungen von Ursache und Wirkung (z.B. „Wenn ich rattle, macht es Geräusch“). Für autistische Kleinkinder, die eventuell ein besonderes Bedürfnis nach bestimmten Sinneseindrücken haben, können Greifmaterialien sehr beruhigend wirken – etwa das gleichmäßige Klappern einer Holzkugel oder das spürbare Gewicht eines Metallgegenstands. Zeigt ein Kind Abneigungen gegen bestimmte Oberflächen (z.B. etwas Flauschiges oder etwas Kaltes), kann man die Auswahl der Greifmaterialien entsprechend anpassen und zunächst nur jene Materialien anbieten, die es mag, um keinen negativen Reiz zu setzen. Nach und nach kann dann behutsam die Vielfalt erhöht werden, damit das Kind auch neue Sinneserfahrungen tolerieren lernt.
  • Geräuschdosen: Hierbei handelt es sich um ein klassisches Montessori-Sinnesmaterial, das bereits für die Kleinsten in vereinfachter Form angeboten werden kann. Geräuschdosen sind kleine Behälter (z.B. Döschen aus Holz oder Kunststoff) mit verschiedenen Füllungen, die beim Schütteln jeweils ein anderes Geräusch machen. Typischerweise gibt es sie paarweise: Zwei Dosen klingen gleich und bilden ein Paar, ähnlich wie bei einem Memory-Spiel für die Ohren. Für sehr junge Kinder kann man zunächst nur 2–3 unterschiedliche Geräuschdosen verwenden. Die Aufgabe besteht darin, aufmerksam zu lauschen und herauszufinden, welche Dosen zusammengehören. Das Kind schüttelt eine Dose, hört den Klang (etwa Rasseln von Reis, Klirren von kleinen Glöckchen, Rauschen von Sand) und sucht dann die Dose mit dem identischen Geräusch. Diese Übung schult die auditive Wahrnehmung und Konzentration. Autistischen Kindern kann sie helfen, sich gezielt auf einen Sinneseindruck – hier das Hören – zu fokussieren und dabei Ausfilterung zu üben (Nebengeräusche ausblenden, um den feinen Unterschied zu erkennen). Kinder, die geräuschempfindlich sind, könnten anfangs zögerlich sein; hier empfiehlt es sich, mit sehr sanft klingenden Dosen zu starten (z.B. Wattebäusche in einer Dose für ein leises Geräusch). Anderen Kindern macht gerade das akustische Experimentieren Spaß, insbesondere wenn sie vielleicht noch nicht sprechen, aber über Klänge „kommunizieren“ können. Ein autistisches Kind, das nonverbal ist, kann durch das Bringen einer bestimmten Geräuschdose auch zeigen „Dieses Geräusch mag ich“ oder „Das will ich nochmal hören“. Anpassungsidee: Falls kein Montessori-Material zur Hand ist, kann man solche Geräuschdosen auch selbst basteln (z.B. mit Ü-Eier-Kapseln oder Filmdöschen). Insgesamt fördern die Geräuschdosen nicht nur den Sinn, sondern auch die Impulskontrolle – das Kind muss geduldig und leise lauschen, was ein gutes Training für die Aufmerksamkeitsspanne ist.
  • Steckspiele: Steck- und Sortierspiele gehören zu den Favoriten vieler Kleinkinder und sind hervorragend geeignet, um visuelle Wahrnehmung und Feinmotorik zu trainieren. Ein klassisches Beispiel ist die Formen-Sortierbox: ein Kasten mit Aussparungen in verschiedenen Formen (Kreis, Dreieck, Quadrat etc.), zu dem passende Klötzchen gehören, die nur durch die richtige Öffnung passen. Das Kind probiert aus, welcher Stein wo hineinpasst, und freut sich, wenn es den passenden „Steckplatz“ gefunden hat. Weitere Steckspiele sind etwa Steckstäbe mit Ringen (wie eine Art kleiner Turm, auf den Ringe nach Größe sortiert gesteckt werden) oder auch Puzzle-Stecker mit einfachen geometrischen Formen zum Einsetzen. Für autistische Kinder bieten Steckspiele mehrere Vorteile: Sie geben eine klare Struktur (es gibt nur eine richtige Lösung pro Teil, was Orientierung gibt), und sie befriedigen oft das Bedürfnis nach Ordnung und Abschluss – jedes Teil hat seinen definierten Platz. Kinder, die zum Beispiel dazu neigen, Objekte immer wieder zu ordnen oder aufzureihen, finden hier eine sinnvolle Tätigkeit, die dieses Bedürfnis kanalisiert und dabei noch Lerneffekte (Formen erkennen, Ursache-Wirkung, Problemlösen) mit sich bringt. Sollte ein Kind zu Frustration neigen, wenn etwas nicht sofort klappt, kann man das Steckspiel zunächst vereinfachen (z.B. nur zwei Formen anbieten anstatt fünf auf einmal) oder anfangs Handführung geben, damit es das Erfolgserlebnis hat und nicht aufgibt. Mit der Zeit lernen viele autistische Kinder solche Spiele auch alleine zu meistern und genießen die Wiederholung: Das gleiche Puzzle immer wieder einzusortieren, kann sehr beruhigend wirken und gleichzeitig Konzentration und Handgeschicklichkeit steigern.
  • Sinnesmaterialien: Unter Sinnesmaterialien versteht man verschiedenste Materialien, die die Wahrnehmung anregen – sei es Tastsinn, Sehsinn, Geruchssinn usw. Für die Altersgruppe 0–3 lassen sich hier einige einfache, aber wirkungsvolle Ideen umsetzen. Zum Beispiel Fühltafeln oder Tastbretter: Das sind Bretter oder Kartonkarten mit unterschiedlichen Oberflächen (rau, glatt, weich, hart, genoppt etc.), die das Kind mit den Händen erkundet. Autistische Kleinkinder, die oft eine ausgeprägte Vorliebe oder Abneigung für bestimmte Texturen haben, können damit spielerisch verschiedene Taktilerfahrungen machen. Sie lernen z.B. „rau vs. glatt“ zu unterscheiden, was auch sprachlich begleitet werden kann („Der Stoff ist weich, das Sandpapier ist rau.“). Für Kinder, die Berührungen an der Haut unangenehm finden, ist das Fühlen mit den Händen ein guter erster Schritt, um taktile Empfindungen zu üben – sie haben die Kontrolle und können die Hand wegnehmen, wenn es zu viel wird. Andere Sinnesmaterialien könnten Duftdosen (kleine Behälter mit verschiedenen Gerüchen wie Lavendel, Zitrus, Kaffee – ähnlich wie Geräuschdosen, nur für den Geruchssinn) sein, wenn das Kind alt genug ist, um nicht alles in den Mund zu nehmen. Oder farbige Tastbälle mit Noppen, die man drücken kann (trainiert auch die Handmuskulatur). Wichtig ist bei allen Sinnesmaterialien, auf das Kind zu achten: Welche Sinnesreize scheinen ihm angenehm, welche unangenehm? Darauf kann man aufbauen. Das Ziel ist, dem Kind zu helfen, seine Wahrnehmung zu strukturieren und sich zunehmend auch auf neue Sinneseindrücke einzulassen. Gleichzeitig machen solche Materialien einfach Spaß und befriedigen die natürliche Neugier. Ein autistisches Kind, das vielleicht weniger mit anderen spielt, kann hiermit ausdauernd beschäftigt sein und Erfolgserlebnisse haben – etwa wenn es alle Oberflächen richtig erkannt hat oder sein Lieblingsduft gefunden hat.

Vorschulkinder (3–6 Jahre)

  • Geräusch-Memory: Für Kinder im Vorschulalter kann man die Idee der Geräuschdosen zu einem richtigen Spiel ausweiten – dem Geräusch-Memory. Dabei erhält man beispielsweise 6 bis 8 Behälter, in denen es jeweils ein identisches Klang-Paar gibt. Ähnlich wie beim klassischen Memory (wo man Bildpaare aufdecken muss) werden hier die Dosen geschüttelt und nach dem Gehör zueinander sortiert. Dieses Spiel erfordert schon eine etwas fortgeschrittene Hörwahrnehmung und Merkfähigkeit, passt aber gut in den Montessori-Kontext, wo es darum geht, die Sinne zu verfeinern. Die Kinder arbeiten oft zu zweit damit: Sie hören abwechselnd in eine Dose hinein und versuchen, das Gegenstück mit dem gleichen Geräusch zu finden. Für autistische Kinder, die sich in diesem Alter oft schon etwas länger konzentrieren können, ist das eine tolle Übung zur auditiven Differenzierung – also feine Unterschiede im Klang zu bemerken. Es fördert auch die soziale Interaktion in kleinem Rahmen (zu zweit spielen, Regeln beachten, abwarten können). Wenn das Kind nicht in der Lage ist, gemeinsam mit einem Partner das Spiel zu spielen, kann es auch allein ausprobieren und immer zwei passende Dosen nebeneinander stellen. Das Positive an diesem Material ist, dass es wenig Sprache erfordert – man kann es quasi nonverbal erklären und spielen. Für einige autistische Kinder ist das ideal, da sie sich ganz auf den Sinneseindruck konzentrieren können, ohne gleichzeitig Sprachverstehen verarbeiten zu müssen. Sollte ein Kind mit Geräusch-Memory überfordert sein (weil es sich z.B. die gehörten Klänge nicht merken kann), kann man die Anzahl der Dosen reduzieren oder die Geräusche kontrastreicher wählen (z.B. ein sehr lautes vs. ein sehr leises). Mit etwas Übung werden viele autistische Kinder aber Spaß daran haben, die „akustischen Paare“ zu finden, zumal das Erfolgserlebnis beim Erkennen eines Paares unmittelbare Freude bringt.
  • Farbtäfelchen: Die sogenannten Farbtäfelchen sind ein klassisches Montessori-Material zur Schulung des Farbsinns und der visuellen Unterscheidungsfähigkeit. Es handelt sich um kleine, rechteckige Täfelchen (meist aus Holz), die in verschiedenen Farben lackiert sind. In der ersten Stufe gibt es einfach Paare von Grundfarben (z.B. zwei rote, zwei blaue, zwei gelbe Tafeln), die das Kind zusammenfinden soll. Später gibt es komplexere Sätze mit Abstufungen (Schattierungen einer Farbe von hell bis dunkel). Die Anwendung für Vorschulkinder: Zunächst werden alle Täfelchen gemischt; das Kind soll dann die passenden Farben erkennen und sortieren – jeweils zwei identische Farbtäfelchen nebeneinander legen. In höheren Schwierigkeitsgraden kann das Kind die Farbtäfelchen auch nach Nuancen ordnen, z.B. von ganz hellblau bis dunkelblau der Reihe nach. Für autistische Kinder, die häufig eine starke visuelle Auffassungsgabe haben, sind Farbtäfelchen sehr ansprechend. Sie lieben oft klare, strukturierte Aufgaben wie „Finde die gleichen Farben“ oder „Sortiere nach Helligkeit“. Hier können sie ihre Detailwahrnehmung einsetzen und sehen sofort das Ergebnis ihrer Ordnung. Gleichzeitig lernen sie Begriffe für Farben und entwickeln eine feinere Wahrnehmung für visuelle Unterschiede. Ein Kind, das vielleicht im Alltag wenig sprachliche Rückmeldung gibt, kann dennoch durch dieses Material zeigen, dass es z.B. Farbtöne unterscheiden kann – eine Fähigkeit, die man ihm ohne dieses konkrete Tun vielleicht nicht zutrauen würde. Sollte ein autistisches Kind Schwierigkeiten haben, sich auf viele Farben gleichzeitig zu konzentrieren, kann man wieder vereinfachen: nur drei oder vier Farbpaaren anbieten, dann schrittweise steigern. Oft zeigen autistische Kinder hier aber sogar besonderes Talent, weil das Sortieren und Kategorisieren von visuellen Eindrücken ihnen liegt. Außerdem wirken die schön geordneten Farben beruhigend und befriedigend. Manche Kinder mit Autismus neigen dazu, Dinge nach Farbe zu ordnen; mit Farbtäfelchen tun sie genau das als sinnvolle Lernaktivität. Eine mögliche Variante bzw. Ergänzung ist es, die Umgebung mit einzubeziehen – etwa „Suche einen Gegenstand im Raum, der dieselbe Farbe hat wie dieses Täfelchen“. Dies verbindet die Materialarbeit mit Kommunikation und Interaktion mit der Umgebung, was wiederum die Sprachentwicklung fördern kann (das Kind benennt den Gegenstand oder zeigt ihn zumindest).
  • Sandpapierbuchstaben: Die Sandpapierbuchstaben sind ein zentrales Sprachmaterial im Montessori-Kinderhaus. Es sind Holztäfelchen, auf denen jeweils ein Buchstabe des Alphabets in grobkörnigem Sandpapier reliefartig aufgeklebt ist – Vokale oft auf andersfarbigem Grund als Konsonanten (z.B. blaue Buchstaben auf roten Tafeln und umgekehrt), um die Unterscheidung zu unterstützen. Das Kind fährt mit dem Zeigefinger den Buchstaben nach und spricht dabei dessen Laut (also z.B. beim Buchstaben M sagt man „mmm“). Diese multi-sensorische Herangehensweise ans Schriftbild bereitet das Lesen und Schreiben vor: Das Kind prägt sich die Form ein und verknüpft sie mit dem entsprechenden Laut. Autistische Kinder können von den Sandpapierbuchstaben in besonderer Weise profitieren. Erstens erlauben sie einen visuell-taktilen Zugang zur Sprache – anstatt flüchtige Laute oder abstrakte Druckbuchstaben allein zu haben, spürt das Kind die Form unter seinem Finger. Dies kann Kindern, die mit auditiver Verarbeitung kämpfen, sehr entgegenkommen. Zweitens können viele autistische Kinder gut visuell memorieren; sie erkennen Buchstaben schnell wieder, auch wenn sie vielleicht Schwierigkeiten haben, sie auszusprechen. Die Sandpapierbuchstaben bieten die Möglichkeit, mit Sprache zu arbeiten, ohne dass das Kind gleich schreiben oder laut sprechen muss. Einige autistische Kinder sind sogenannte Hyperlexiker – sie interessieren sich früh brennend für Buchstaben und Zahlen, können teils schon lesen, noch bevor sie verbal kommunizieren. Für solche Kinder sind Sandpapierbuchstaben natürlich ein gefundenes Fressen: Endlich darf man offiziell mit den geliebten Buchstaben spielen und sie sogar anfassen! Aber auch Kinder, die der Sprache eher zögerlich begegnen, kann man über dieses Material neugierig machen, weil es Spielcharakter hat (man fährt drüber wie über ein kleines Straßennetz mit dem Finger). In der Anwendung mit autistischen Kindern ist wichtig, die Menge der neuen Buchstaben behutsam zu dosieren – vielleicht erst einmal nur zwei oder drei Buchstaben einführen und viel Wiederholung erlauben. Da Routine und Wiederholung vielen Kindern im Autismus-Spektrum Sicherheit gibt, kann man täglich ein kleines Ritual daraus machen: gemeinsam ein paar bekannte Buchstaben fühlen und benennen. Manche Kinder erfreuen sich auch an der Struktur des Sandpapiers an sich – es stimuliert den Tastsinn intensiv. Sollte ein Kind die raue Oberfläche anfangs nicht mögen, könnte man es mit feinerem Sandpapier oder Filzbuchstaben probieren, bis es sich daran gewöhnt hat. Insgesamt fördern die Sandpapierbuchstaben sowohl die Sprachentwicklung (Buchstabenlaute, Wortbildung später mit beweglichem Alphabet) als auch die Feinmotorik (Schwungübungen fürs Schreiben). Ein autistisches Kind kann hier im eigenen Tempo in die Welt der Schrift eintauchen, ohne Druck, und Erfolg spüren, wenn es beispielsweise plötzlich den Anfangsbuchstaben seines Namens wiedererkennt und stolz darauf zeigt.
  • Praktische Übungen des täglichen Lebens: Ein wichtiger Bereich im Montessori-Kinderhaus sind die Übungen des täglichen Lebens – also Alltagsfertigkeiten, die als Lernaktivität aufbereitet werden. Beispiele sind: Einschenken und Umfüllen (Wasser von einer Kanne in die andere gießen, mit einem Trichter arbeiten, Linsen von einer Schale in die andere löffeln), Schneidübungen (mit einem kindgerechten Messer Obst schneiden), Gießübungen (eine Pflanze mit der Gießkanne wässern), Sortieren und Ordnen (z.B. Wäscheklammern nach Farbe sortieren, Besteck polieren und einsortieren) oder die klassischen Verschlussrahmen (Stoffrahmen, an denen das Kind Knöpfe, Reißverschlüsse, Schleifen etc. üben kann). Diese Aktivitäten scheinen einfach, sind aber pädagogisch wertvoll, da sie Koordination, Konzentration und Selbständigkeit fördern. Für autistische Vorschulkinder haben praktische Übungen gleich mehrere Vorteile: Erstens befriedigen sie oft das Bedürfnis nach klaren Abläufen – jeder Handgriff hat eine feste Reihenfolge (z.B. beim Eingießen: Krug mit zwei Händen fassen, langsam kippen, bis zur Markierung füllen, zurückstellen). Diese Vorhersehbarkeit gibt Sicherheit und lehrt gleichzeitig eine Fähigkeit fürs Leben. Zweitens können autistische Kinder so ganz konkret Lebenskompetenzen einüben, was ihr Selbstvertrauen enorm stärkt. Ein Kind, das sonst vielleicht als „unfähig“ wahrgenommen wird, erlebt: „Ich kann allein mein Getränk einschenken“ oder „Ich kann meinen Teller abwischen und sauber machen“. Das ist Empowerment im Kleinen. Drittens wirken viele dieser Tätigkeiten beruhigend und strukturierend. Zum Beispiel das gleichmäßige Umfüllen von Linsen mit einem Löffel hat fast meditativen Charakter und kann überaktiven oder ängstlichen Kindern Ruhe vermitteln. Viertens lassen sich die Übungen sehr gut an die Bedürfnisse anpassen: Hat ein Kind Probleme mit der Feinmotorik, beginnt man mit größeren Gegenständen (z.B. Bohnen statt Linsen umschütten, was einfacher ist). Hat ein Kind sensorische Besonderheiten, wählt man Materialien, die es mag (manche Kinder lieben z.B. das Gefühl von Wasser an den Händen – hier kann man verstärkt Wasserspiele einbauen; andere mögen keine klebrigen Texturen – dann wird man z.B. nicht mit Teig kneten starten). Praktische Übungen fördern auch die Aufmerksamkeitsspanne – viele autistische Kinder können erstaunlich lange dabei bleiben, weil die Tätigkeit ihnen Sinn gibt und sie die Ergebnisse sofort sehen (sauberer Tisch, volle Kanne etc.). Zudem wird implizit Kommunikation geübt, indem die Handlungen oft sprachlich begleitet werden („Jetzt gieße ich – stopp – genau bis zur Linie“). Eltern und Pädagogen berichten oft, dass autistische Kinder zu Hause diese gelernten Handgriffe gerne wiederholen, weil sie Freude daran haben, etwas „wie die Großen“ tun zu dürfen. Insgesamt helfen die Übungen des täglichen Lebens autistischen Kindern, sich Schritt für Schritt in der realen Welt zurechtzufinden und Routinehandlungen zu meistern – was wiederum Ängste abbaut.

Grundschulkinder (6–9 Jahre)

  • Mathematisches Material: Im Grundschulalter kommen in Montessori viele fortgeschrittene Rechenmaterialien zum Einsatz, mit denen abstrakte mathematische Konzepte anschaulich gelernt werden können. Eines der bekanntesten ist das Goldene Perlenmaterial: Perlen in Einheiten, Zehnerstäbchen (10 an einer Stange), Hunderterplatten (10×10) und Tausenderwürfel (10×10×10), mit denen Kinder das Dezimalsystem und schriftliche Addition/Subtraktion sowie Multiplikation und Division konkret durchführen können. Für autistische Kinder, die häufig sehr visuell und systematisch denken, ist dieses Material ein Segen. Sie sehen, warum 10 Einer ein Zehner werden – sie können es anfassen und zählen. Das Rechnen wird zu einer Art Spiel mit Mustern und Mengen, was vielen mehr liegt als reine Ziffern auf Papier. Ebenso gibt es das Markenbrett (Stamp Game) für den Übergang vom konkreten zum symbolischen Rechnen: Hier werden farbige Plättchen (Marken) mit Zahlenwerten ausgelegt und man kann damit schriftliche Rechenoperationen simulieren. Autistische Kinder, die vielleicht Schwierigkeiten mit der Vorstellungskraft haben, profitieren enorm davon, dass Mathematik hier greifbar wird. Sie können selbständig Aufgaben legen und kontrollieren (die Materialien haben oft Selbstkontrollmöglichkeiten, z.B. bestimmte Muster, die entstehen müssen). Auch Geometrie wird in Montessori mit Material vermittelt, etwa mit dem Geometriekasten (verschiedene Dreiecke, Quadrate, Kreise etc. zum Legen und Kombinieren) oder Volumenmodellen. Für Kinder im Autismus-Spektrum, die oft ein Auge für Details und Formen haben, sind solche Materialien ansprechend. Sie können z.B. geometrische Formen sortieren, Muster legen oder Symmetrien entdecken – Fähigkeiten, die einige autistische Kinder überdurchschnittlich gut beherrschen. Sollte ein Kind sehr weit in Mathe sein (was bei autistischen Kindern nicht selten vorkommt), erlaubt Montessori auch, dass es schon früher mit komplexerem Material arbeitet, etwa mit Quadrat- und Kubikketten (Perlenketten zum Ziehen von Quadratzahlen und Kubikzahlen) oder Bruchmaterial. Andersherum, wenn ein autistisches Kind in Mathe eher langsam lernt, kann es länger beim konkreten Material bleiben, bis das Konzept wirklich verstanden ist – es wird nicht unter Druck gesetzt, „abstrakt“ zu rechnen, bevor es bereit ist. Ein autistisches Kind, das z.B. Probleme hat, sich schriftliche Aufgaben zu merken, kann am Teppich mit Perlen arbeiten und so seinen kinästhetischen Lernkanal nutzen. Wichtig ist wie immer die Anpassung: Wenn ein Kind etwa leicht visuell überreizt wird, achtet man darauf, nicht zu viele verschiedene Materialien gleichzeitig vorzulegen. Man arbeitet Schritt für Schritt. Insgesamt jedoch zeigen Erfahrungen, dass gerade im Bereich Mathematik und Logik Montessori-Materialien autistische Kinder stark motivieren können – es ist fast so, als würde das Rechnen zu einem „begreifbaren Puzzle“ werden, das perfekt zu ihrer Denkweise passt.
  • Sprachmaterial: Auch in der Grundschulstufe setzt Montessori stark auf didaktisches Material, um Sprache (Lesen, Schreiben, Grammatik) zu vermitteln. Für 6–9-Jährige gibt es z.B. die Grammatik-Symbole – kleine bunte Formen (Dreiecke, Kreise, etc.), die verschiedene Wortarten repräsentieren (Nomen, Verb, Adjektiv, usw.). Die Kinder legen diese Symbole über die Worte in einem Satz, um die Satzstruktur sichtbar zu machen. Ein autistisches Kind, das vielleicht mit dem freien Formulieren von Sätzen Mühe hat, kann über diese symbolische Darstellung lernen, wie Sprache funktioniert. Es wird zur Art Logikspiel: „Jeder Satz braucht einen schwarzen großen Punkt (Verb) und meistens ein schwarzes Dreieck (Nomen). Adjektive sind blaue Dreiecke, die zum Nomen gehören…“ – solche Muster zu erkennen liegt vielen autistischen Kindern. Das Grammatikmaterial gibt klare Regeln und visuelle Marker, was ihnen helfen kann, das sonst so flüchtige Gebiet der Grammatik zu fassen. Ebenfalls gibt es Wortartenschablonen und Satzanalyse-Schieber (für Haupt- und Nebensatz-Beziehungen), die ähnlich funktionieren. Für den Bereich Lesen kommen oft Lesekarten und -spiele zum Einsatz: Das können etwa 3-teilige Bild-Wort-Karten sein (Nomenklaturkarten), bei denen ein Bild einem Wort zugeordnet werden muss und durch eine Kontrollkarte geprüft werden kann. Autistische Kinder mit visuellen Stärken können davon profitieren, weil sie ein Wort dem Bild zuordnen können, ohne dass ein mündlicher Vortrag nötig ist. Es fördert den Wortschatz und das Begriffsverständnis. Viele autistische Kinder bevorzugen schriftliche Sprache gegenüber gesprochener – sie lesen z.B. lieber etwas, als es sich anhören zu müssen. Hier spielt Montessori ihnen in die Karten, indem viel mit Schrift und Bild als Medium gearbeitet wird, nicht nur mit mündlicher Erklärung. Für Kinder, die noch Schwierigkeiten mit dem Lesen haben, gibt es in Montessori außerdem taktile Buchstaben auslegen (mit beweglichem Alphabet werden Worte gelegt, bevor man sie schreiben muss), was weiterführt, was im Kinderhaus mit den Sandpapierbuchstaben begann. Adaptieren kann man all dies, indem man Themen wählt, die das Kind interessieren: Ein autistisches Kind, das etwa Dinosaurier liebt, könnte Lesekarten über Dinosaurier bekommen; eines mit Interesse an Zügen könnte Sätze lesen, die von Zügen handeln. So hält man die Motivation hoch. Außerdem sind Montessori-Lehrkräfte darin geschult, sprachliche Aufgaben auch nonverbal oder mit minimaler Sprache einzuleiten – z.B. indem sie einfach vormachen, wie Symbole gelegt werden, anstatt es lange zu erklären. Das kommt autistischen Kindern sehr entgegen, die mit verbalen Instruktionen hadern. Insgesamt bieten die Sprachmaterialien der Grundschulstufe autistischen Kindern eine klare, visuelle Strukturierung der Sprache – etwas, das im klassischen Unterricht oft fehlt, dort bleibt Sprache so abstrakt. Durch Symbole, Farben und Karten wird Sprache greifbarer und logischer, was ihnen helfen kann, besser Lesen und Schreiben zu lernen.
  • Bild- und Wortkarten (Nomenklaturkarten): Bereits angedeutet, seien die sogenannten Nomenklaturkarten oder generell Lernkarten hier noch einmal als eigenes Material hervorgehoben. Sie finden in Montessori für viele Themen Verwendung – ob Biologie (Pflanzen- und Tierarten mit Bild und Name), Geographie (Länder und Fahnen), alltägliche Gegenstände oder sogar Gefühle (mit Piktogrammen). Für autistische Kinder sind solche Karten oft ein hervorragendes Mittel, um Wortschatz und Weltwissen zu erweitern. Sie kombinieren ein klares Bild mit einem geschriebenen Wort. Das Kind kann die Karten sortieren, paaren (z.B. Bildkarten den passenden Wortkarten zuordnen) oder damit kleine Spiele spielen (z.B. Memory mit Bild und Begriff). Diese visuelle Aufbereitung kommt Kindern entgegen, die sich Dinge besser in Bildern merken. Nehmen wir ein autistisches Kind, das wenig spricht, aber Interesse an Tieren hat: Mit Tier-Nomenklaturkarten kann es die Bilder vielleicht schon richtig benennen oder zeigen, welcher Name dazugehört, und man merkt: es weiß eine Menge, auch wenn es das nicht spontan erzählen würde. Die selbstkontrollierende Natur der Karten (man kann auf der Rückseite oder durch Kontrollkarten prüfen) gibt ihnen Unabhängigkeit beim Lernen – sie müssen nicht immer den Lehrer fragen, ob es stimmt. Darüber hinaus lassen sich die Karten als Kommunikationsbrücke nutzen: Ein nonverbales Kind kann durch Zeigen auf die Karten kommunizieren („Ich will das Buch mit dem Elefanten“ – zeigt auf Elefantenkarte). Für Schulkinder im Autismus-Spektrum, die evtl. schon lesen können, aber mündlich wenig mitmachen, sind schriftliche Karten eine Möglichkeit, dennoch am Unterrichtsstoff teilzuhaben. Sie können zum Beispiel beim Thema „Pflanzen“ die Karten mit Pflanzenteilen beschriften, ausschneiden und an ein Plakat kleben – eine Tätigkeit, die Struktur hat und weniger spontan-emotionales Reagieren erfordert als eine Gruppendiskussion. Eine Anpassungsmöglichkeit: die Interessen des Kindes einbeziehen – Montessori-Materialien lassen sich nämlich auch selbst herstellen. Wenn ein Kind z.B. Autos über alles liebt, kann man Bild-Wort-Karten zu Automarken oder Fahrzeugteilen machen. Das Kind wird hochmotiviert sein, diese zu lernen, und quasi nebenbei verbessert es seine Lesefähigkeit und Kategorisierungsfähigkeit. Wichtig ist, das Pensum immer überschaubar zu halten – lieber 5 Karten, die das Kind wirklich begreift, als 20 auf einmal, die es überfordern. Mit der Zeit kann man die Sammlung erweitern. Die Karten geben dem autistischen Kind das befriedigende Gefühl, dass die Welt sortierbar und verständlich ist – jedes Bild hat einen Namen, alles hat einen Platz.
  • Bewegungs- und Strukturhilfen: In der Grundschulzeit wird es für viele Kinder – ob autistisch oder nicht – wichtig, sowohl genügend körperliche Bewegung zu haben als auch Techniken zu erlernen, wie man seine Arbeit strukturiert. Montessori trägt dem auf verschiedene Weisen Rechnung. Für die Bewegungsbedürfnisse autistischer Kinder sind Montessori-Klassen oft förderlich, weil sie nicht den ganzen Tag an einen Stuhl gefesselt sind. Dennoch kann es hilfreich sein, ganz gezielte Bewegungsangebote einzubauen: zum Beispiel das klassische Montessori-„Liniengehen“, eine Übung, bei der Kinder auf einer Linie (oft ein Oval am Boden) balancieren – mit oder ohne Musik, eventuell ein Glöckchen in der Hand, das nicht klingen soll. Diese Übung verbessert die Körperkoordination und das Gleichgewicht. Für autistische Kinder, die manchmal Probleme mit der Körperwahrnehmung oder dem Gleichgewichtssinn haben, ist das ein spielerisches Training. Gleichzeitig wirkt das langsame, konzentrierte Gehen beruhigend auf das Nervensystem und hilft, überschüssige Energie abzubauen. Darüber hinaus können Bewegungspausen in den Tag integriert werden: Ein Kind, das motorisch unruhig ist, darf vielleicht zwischendurch im Klassenraum eine Aufgabe übernehmen, die Bewegung erfordert – z.B. etwas holen, Tafeldienst erledigen, Fenster öffnen. Solche kleinen Hilfstätigkeiten strukturieren die Bewegung und geben ihr einen Zweck (viel besser, als wenn das Kind „herumzappelt“ ohne Ziel). In Montessori-Grundschulen gehören auch oft Ausflüge in die Natur und viel Freispiel draußen dazu, was autistischen Kindern die Gelegenheit gibt, sich körperlich auszutoben oder sensorische Eindrücke (Wind, Sand, Wasser) zu erleben, die drinnen nicht vorkommen. All das sind indirekte Bewegungs-“materialien”, die man ruhig als Teil des Lernens sehen darf.

Unter Strukturhilfen fallen in diesem Alter alle Mittel, die dem Kind helfen, seinen Tagesablauf und seine Lernschritte zu ordnen. Autistische Kinder profitieren enorm von visuellen und klaren Strukturen. In Montessori-Klassen 6–9 wird oft ein Wochenplan oder Arbeitsplan eingeführt: Jedes Kind hat eine Liste der Aufgaben oder Ziele für die Woche und lernt, diese selbst einzuteilen. Für ein autistisches Kind kann so ein Plan Wunder wirken, da er schwarz auf weiß sieht, was gemacht werden soll, und abhaken kann, was erledigt ist. Es gibt Sicherheit und reduziert die Angst, etwas zu vergessen oder überrascht zu werden. Manche Montessori-Lehrkräfte gestalten diesen Plan auch mit Symbolen oder Farben, um ihn übersichtlicher zu machen. Auch visuelle Timer oder Uhren können eingesetzt werden, wenn ein Kind z.B. immer ewig bei einer Aufgabe verweilt – ein sanfter Hinweis durch ein kleines Sanduhr-Spiel („Schau mal, wenn der Sand durchgerieselt ist, probieren wir die nächste Aufgabe“) kann dem autistischen Kind helfen, Übergänge zu schaffen, ohne dass eine menschliche Stimme es abrupt unterbricht. Eine weitere Strukturhilfe ist die Klassenroutine an sich: Montessori ermutigt die Kinder, bestimmte Abläufe selbst zu verinnerlichen (z.B. morgens zuerst seinen Platz vorbereiten, dann den Plan anschauen, Materialien holen; oder am Ende des Tages das Lernjournal ausfüllen). Für autistische Kinder, die von sich aus sehr ordnungsliebend sind, kann dies die Chance sein, ihre Organisationstalente zu entwickeln. Vielleicht führen sie besonders akkurat Buch über ihre erledigten Arbeiten oder sortieren die fertigen Arbeiten in Portfolios. Hier können Lehrer*innen positive Rückmeldung geben und das Kind als „Klassenorganisator“ einbinden – autistische Kinder blühen manchmal auf, wenn sie eine definierte, sinnvolle Rolle bekommen, die zu ihrer Ordnungsliebe passt (z.B. Bibliothekar, der die Leseecke ordnet). Sollte ein Kind trotz aller Angebote Schwierigkeiten haben, den Tag zu strukturieren, kann man individuell nachlegen: etwa mit einem Bildablaufplan am Pult (Piktogramme der Reihenfolge: zuerst Schreibarbeit, dann Pause, dann Rechnen usw.). Solche Hilfsmittel, die oft in spezialisierten Fördersettings genutzt werden, lassen sich auch in Montessori integrieren, ohne den Charakter der Umgebung zu stören – sie helfen dem Kind, die Offenheit der Montessori-Umgebung in kleinere, verdauliche Schritte zu gliedern. Insgesamt sind Bewegungs- und Strukturhilfen also dazu da, autistischen Grundschulkindern den Schulalltag angenehm und bewältigbar zu machen: Bewegung reduziert Stress und verbessert die Aufnahmefähigkeit, Struktur gibt Halt und Übersicht. Zusammen mit dem inspirierenden Materialangebot bilden sie ein Gerüst, das das Kind trägt.

Was hinter Montessori steckt – Philosophie, Menschenbild, Rolle des Erwachsenen

Abschließend lohnt sich ein Blick auf die tieferliegenden Werte und Einstellungen, die hinter der Montessori-Pädagogik stehen. Diese Philosophie erklärt nämlich, warum Montessori so gut auf individuelle Unterschiede – wie eben Autismus – eingehen kann. Im Zentrum steht ein positives Menschenbild: Maria Montessori sah jedes Kind als einzigartiges, wertvolles Wesen mit einem inneren Bauplan für seine Entwicklung. Anstatt Kinder in eine Form pressen zu wollen, wollte sie ihnen helfen, sie selbst zu werden – in ihrem eigenen Tempo und gemäß ihren eigenen Fähigkeiten. Diese Haltung spürt man in jeder Montessori-Klasse: Autistische Kinder werden nicht als „fehlhaft“ betrachtet, die man therapieren muss, damit sie wie die anderen werden. Stattdessen fragt man: Was braucht dieses Kind, um sich wohlzufühlen und Fortschritte zu machen? und Welche besonderen Stärken bringt es vielleicht mit? – etwa ein gutes Gedächtnis, Ehrlichkeit, Detailgenauigkeit oder ein unkonventioneller Blick auf die Welt. Montessori ist somit von Natur aus inklusiv in ihrem Denken: Jedes Kind, ob mit oder ohne Behinderung, hat das gleiche Recht auf Achtung und bestmögliche Förderung.

Die Rolle des Erwachsenen in diesem Konzept ist entscheidend. Montessori-Lehrpersonen (und auch Eltern, die nach Montessori handeln) sehen sich als Beobachter und Begleiter des Kindes. Ihre Aufgabe ist es, die Umgebung vorzubereiten, geeignete Materialien bereitzustellen und dann dem Kind die Freiheit zu lassen, seine eigenen Erfahrungen zu machen. Das erfordert viel Geduld, Respekt und Vertrauen. Gerade bei einem autistischen Kind, das vielleicht ungewöhnliche Wege geht, ist diese Haltung wertvoll: Der Erwachsene versucht nicht, das Kind permanent zu korrigieren oder zu drängen, sondern schaut erst einmal zu, wie das Kind an eine Aufgabe herangeht. Er erkennt die kleinen Fortschritte und feiert sie, statt ständig mit Normtabellen zu vergleichen. Wenn ein autistisches Kind beispielsweise immer wieder die gleichen drei Materialien wählt, wird der Montessori-Pädagoge dies nicht sofort als „Problem“ betrachten, sondern sehen: Das Kind holt sich offenbar gerade daraus etwas Wichtiges (Sicherheit, Vertiefung, Erfolgserlebnis). Anstatt es zu zwingen, etwas anderes zu tun, könnte der Pädagoge überlegen, wie man aufbauend auf diesen Vorlieben weitere Lernschritte anbieten kann. Diese achtsame, wertschätzende Haltung gegenüber dem Kind entspricht dem Montessori-Menschenbild, wonach jedes Kind von sich aus lernen und sich entwickeln möchte, wenn die Bedingungen stimmen.

Montessori sprach vom „absorbierenden Geist“ der Kinder – insbesondere in den ersten sechs Lebensjahren nehmen sie die Eindrücke aus ihrer Umgebung mühelos und unbewusst auf und bauen daraus ihre Persönlichkeit auf. Deshalb ist es so wichtig, dass die Umgebung reichhaltig und zugleich schützend gestaltet ist. Für autistische Kinder bedeutet das: Man bietet ihnen Reize und Lernchancen, aber in dosierter Form, und man bewahrt sie vor Überforderung, damit sie positive Erfahrungen machen. Montessori glaubte auch an sensible Phasen – Zeitfenster, in denen Kinder besonders empfänglich für bestimmte Lerninhalte sind (etwa Sprache, Ordnung, Bewegung). Bei autistischen Kindern können diese Phasen etwas anders verlaufen oder länger dauern; die Montessori-Lehrkraft wird darauf Rücksicht nehmen und nicht z.B. mit 5 Jahren insistieren „Jetzt muss dein Kind aber malen lernen“, wenn es vielleicht gerade in einer anderen Phase steckt. Stattdessen vertraut man darauf, dass Entwicklung nicht bei allen gleichzeitig gleich verläuft – mit Geduld und guter Beobachtung sieht man, wann das Kind bereit ist für den nächsten Schritt.

Ein weiterer philosophischer Grundpfeiler ist die Idee der Friedenspädagogik und Gemeinschaft. Montessori betrachtete Kinder als die Hoffnung für eine bessere Zukunft und legte großen Wert auf Erziehung zum Frieden, Toleranz und zur Selbständigkeit als mündige Bürger. In einer Montessori-Gemeinschaft lernt ein autistisches Kind auch Werte wie Respekt vor dem Anderen, Hilfsbereitschaft und Rücksichtnahme. Die Erwachsenen leben dies vor, indem sie jedes Kind annehmen, wie es ist, und eine Atmosphäre schaffen, in der Vielfalt normal ist. Statt Konkurrenz gibt es Kooperation, statt Druck gibt es Ermutigung. Die Emotionale Sicherheit ist ein Kernanliegen – ein Kind soll sich geliebt und akzeptiert fühlen, denn nur dann wird es sich entfalten. Montessori sagte: „Das Kind soll nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen.“ Bei autistischen Kindern heißt das: Man bereitet sie nicht nur akademisch auf irgendeine Prüfung vor, sondern man hilft ihnen, Lebenskompetenzen zu erwerben – sei es im Umgang mit ihren Sinnen, im sozialen Miteinander oder im selbständigen Bewältigen von Alltagsanforderungen.

Zusammengefasst steckt hinter Montessori eine zutiefst humanistische Pädagogik, die jeden jungen Menschen als bedeutungsvoll und entwicklungsfähig ansieht. Für Eltern und Fachkräfte, die mit autistischen Kindern leben und arbeiten, kann diese Haltung äußerst entlastend sein: Das Kind darf so sein, wie es ist, und wir holen es dort ab. Man konzentriert sich auf die Umgebung und die Materialien – sprich, auf das, was man ändern kann – anstatt zu versuchen, das Kind selbst grundlegend zu ändern. In der Montessori-Welt ist der Erwachsene ein Partner des Kindes auf Augenhöhe, einer, der „dem inneren Lehrer im Kinde“ vertraut (wie Montessori es ausdrückte). Diese partnerschaftliche Haltung kann gerade für autistische Kinder, die oft ein feines Gespür für Authentizität haben, der Schlüssel sein, um Vertrauen zu fassen und sich zu öffnen.

Fazit: Montessori für Autisten

Montessori-Lernmaterialien und -methoden bieten vielfältige Chancen für autistische Kinder. Durch die Kombination aus strukturierter Ordnung, sinnlicher Erfahrung, individueller Förderung und respektvoller Begleitung entsteht ein Lernumfeld, das vielen Kindern im Autismus-Spektrum Stabilität und zugleich Entfaltungsmöglichkeiten schenkt. Wichtig bleibt, jedes Kind genau zu beobachten und gegebenenfalls Anpassungen vorzunehmen – denn Autismus hat viele Gesichter. Doch die Montessori-Pädagogik liefert ein flexibles, kinderzentriertes Gerüst, in dem jedes Kind – ob autistisch oder neurotypisch – nach dem Motto „Hilf mir, es selbst zu tun“ wachsen und lernen kann. Eltern und Pädagog*innen, die diesen Weg begleiten, erleben oft, wie viel Potential in diesen Kindern steckt, wenn man ihnen mit Geduld, Verständnis und den richtigen Materialien die Welt Stück für Stück erschließt.